Alb-Leisa

Wenn ich durch die Stuttgarter Markthalle schlendere, die Linke fast stets titaniumfest auf dem Beutel, ereilt mich jedesmal beinahe das, was wir aus der Flipper-Generation den “Schwarztilt” nannten. (Für die Computergeneration: Das bedeutet, dass das Gerät, da gar zu sehr malträtiert, nicht nur den gerade gespielten Ball durch Standardabstellung verloren gibt, sondern – in der Regel vorübergehend – seine ganze Anzeige ausfällt und jede Funktion.)

Ich versuche dann, all den San Daniele- und Iberico-Schinken mental wie real wieder ebenso zu entkommen wie den Rohmilchkäsen und eingelegten Riesenoliven und den Perlhühnern und den … und mit mich dem Kauf eines Beutelchens Premium-Kreuzkümmels oder Bengalischen Pfeffers zu begnügen und meine Ess- und Kauflust also unruinös zu befriedigen.

Gestern aber stachen mir an einem Gewürzstand jene legendären “Alb-Leisa” (Linsen) direkt ins Gesicht, und ich konnte nicht anders, denn die Hand doch in die Börse zu stecken und für satte Vierfünfundneunzig ein Päckchen zu erwerben.

Wobei zunächst anzufügen ist, dass meine gute Bekannte W. von den Fildern sich vor Wochen, als wir übers Kochen fachsimpelten (ich hatte schon zuvor von den Alb-Leisa gehört), mittelschwäbisch darüber echauffiert hatte, dieser Edelfrüchte halber auf einem Albbauernmarkt skandalöse Dreiachtzig fürs Pfund hingeblättert zu haben.

Der daraus gekochte Eintopf sei aber dann doch absolut oberprima geworden, so dass sie diese Exorbitanz, auch ob meiner Tröstung, was schon ein anständiges Stück Rindfleisch koste, dass man sich ja selbst als Schwäbin – zumal, wenn Gäste kommen und mitessen – auch mal was gönnen dürfe, dann doch als ausnahmsweise gerechtfertigt eingestand.

Ich sprach oben davon, dass diese kleinen Delikatessteilchen, deren Farbe von gelb und ocker über hellgrün und dunkelgrün, hellbraun und dunkelbraun bis zum teifsten Umbra reicht, “legendär” seien.

Und es rankt sich tatsächlich eine besondere Geschichte um diese Hülsenfrüchte, die in den 50er Jahren, da ertragsschwach, ganz von deutschen Feldern verschwanden.

Ich zitiere aus “alb-leisa.de”, der Seite der Erzeugergemeinschaft:

“Seit 1985 bauen wir eine kleine, grüne, französische Linsensorte an. Sie hat sich unter den Anbaubedingungen der Schwäbischen Alb gut bewährt und besitzt hervorragende Geschmacks- und Kocheigenschaften.
Die alten Sorten der 1940er und 50er Jahre „Späth’s Alblinse 1 und 2“ waren völlig verschwunden und wurden erst wieder 2006 in der Wawilow-Genbank in St. Petersburg entdeckt. Diese wenigen hundert Linsen werden zur Zeit vermehrt, und wir hoffen, sie in wenigen Jahren als besonderen Genuss anbieten zu können.”

Ich wünsche den Biobauern von der Alb viel Erfolg beim Wiedererwecken der alten Sorten und rätsele derweil noch, ob ich in meinem Erstversuch mit den Albersatzlinsen aus Frankreich, die mich gerade noch aus ihrem Lidl-Konservenglase vom Fensterbrette aus anlachen, einen feinen Salat anrichten solle, oder sie mit etwas Lammhaxe und -brust, Gemüsebrühe, Schalotten, Knoblauch und Tomate, einem Hauch Chili und kräftig bestem Pfeffer, mit welchem Kraute auch, zu einer echten Gourmetkraftsuppe hinbereiten möchte.

Vielleicht werde ich am Ende zu diesem heiligen Anlasse zwei Runenstäbe werfen, also die Höchsten Mächte befragen, auf welche Weise das erste halbe Pfund von mir geehrt werden wolle.

Nachtrag

Eben gewahrte ich in der Suchmaschine, dass die Alb-Urwunderlinsen seit diesem Herbste erstmalig wieder erhältlich seien: www.bioland-bw.de.

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2 Antworten zu “Alb-Leisa”

  1. TanjaKrienen sagt:

    Stilistisch vorbildlich geschrieben, weckte die Schilderung Interesse für ein Themenfeld, welches mir sonst entfernter als der Mond steht. Dafür wurde die Schriftsprache erfunden. Prima!

  2. Magnus Wolf Göller sagt:

    @ TanjaKrienen

    Danke!

    Ich finde solche – gar wahren! – Geschichten wie jene um die Alblinse wunderschön und meine, dass man, anstatt einen Mercedes zu fahren (oder auch zudem), auch mal etwas Feines essen kann, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten.

    Wir hatten es kürzlich von mangelnden hochwertigen vegetarischen Erzeugnissen.

    Bei den Indern sind Linsen d i e Eiweißergänzung zum Reis.

    Und, wenn auch um fünf Euro (bei Alnatura bekomme ich Bio-Beluga- und Berglinsen sowie Le-Puy-Linsen schon um zwei bis drei Euro das Pfund), davon, mit Reis oder gutem Brot, werden eine Menge Leute lecker und gesund satt.

    Es geht mir aber dabei letztlich im Kern weder um Öko, noch auch um Gesundheit, sondern um Geschmack, Lebensfreude, Vielfalt, Kultur.

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